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kunst & REvolution

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Über Literatur

"Bei der Literatur geht es darum, näher an die Wirklichkeit, an die verwirrende Wirklichkeit heranzukommen." Alfred Döblin

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"Die einzigen Menschen, die mich interessieren, sind die Verrückten, die verrückt leben, die verrückt reden, die alles auf einmal wollen, die nie gähnen oder Phrasen dreschen, sondern brennen, brennen, brennen, wie Römische Lichter in der Nacht." Jack Kerouac

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"Gelegentlich siegt Wissen über das Versprechen schrecklichen Vergnügens. Der Lohn ist dann ein offener Kanal geglückter Kommunikation zwischen dem Unbewussten und dem Bewussten. Genau dort kann Arbeit gelingen." Hanif Kureishi

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"Es gab nicht viel Schönheit, außer man hatte die Gabe der tieferen Beobachtung." Saul Bellow

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"Mein Buch ist eine Art Vergrößerungsglas, mit dessen Hilfe der Leser in sich selbst lesen kann." Marcel Proust

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"Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar." Ingeborg Bachmann

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"Wir lesen Bücher nicht wegen der Handlung, die sie uns erzählen, sondern für die Weltsicht, die wir zwischen den Worten finden." Robert Louis Stevenson

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"Alles, was du tun musst, ist, einen wahren Satz zu schreiben. Schreibe den wahrsten Satz, den du weißt." Gertrude Stein

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"Zuerst öffnet er der Fantasie die Tore sperrangelweit; dann setzt er die Feile an." Jorge Luis Borges

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Brot und Rosen

In ihrem Brief an Franz Mehring, dem Mitbegründer des Spartakusbundes, schrieb Rosa Luxemburg: „Durch ihre Bücher haben Sie das Proletariat nicht bloß mit der klassischen Philosophie, sondern auch mit der klassischen Dichtung, nicht nur mit Kant und Hegel, sondern auch mit Lessing, Schiller und Goethe durch unzerreißbare Bande verknüpft. Sie lehrten unsere Arbeiter durch jede Zeile ihrer wunderbaren Feder, dass der Sozialismus nicht eine Messer- und Gabel-Frage, sondern eine Kulturbewegung, eine große und stolze Weltanschauung sei.“

Selbst als die sozialistische Bewegung noch in den Kinderschuhen steckte, wurden erhebliche Anstrengungen unternommen, lohnabhängig Beschäftigten den Zugang zu Bildung und Kunst zu verschaffen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden in Deutschland zahllose Arbeiterbildungsvereine ins Leben gerufen, aber zum Beispiel 1890 auch der Verein „Freie Volksbühne“ gegründet.

Und auch nach der Russischen Revolution rief Leo Trotzki aus: „Wir brauchen Kultur in der Arbeit, Kultur im Leben, Kultur im Alltagsleben.“

Was ist Kunst überhaupt? Ernst Fischer, in der österreichischen Arbeiterbewegung aktiv gewesen, formulierte es so: „In der Kunst streben Menschen nach einem umfassenden, vollständigen Leben.“ In diesem Sinn enthält jedes aufrichtige Kunstwerk ein revolutionäres Element. Es bringt in der Sprache von Poesie oder Pinselstrichen die Unzufriedenheit mit dem Status Quo zum Ausdruck.

„Wie die Wissenschaft erkennt auch die Kunst das Leben. Kunst und Wissenschaft haben dasselbe Thema: das Leben, die Wirklichkeit. Aber die Wissenschaft analysiert, die Kunst synthetisiert: die Wissenschaft ist abstrakt, die Kunst ist konkret; die Wissenschaft wendet sich an den Kopf des Menschen, die Kunst an seine Sinne.“ So Alexander Woronski in „Die Kunst als Erkenntnis des Lebens“.

Was Kunst ausmacht, wird schnell klar, wenn man sich für einen kurzen Moment eine Welt ohne Kunst vorzustellen versucht: eine Welt ohne Tanz, Musik, Farbe, Fantasie.

„Der Mensch lebt nicht vom Brot allein“ heißt es in der Bibel. US-amerikanische Textilarbeiterinnen brachten 1912 in einem Streik in Massachussetts die Losung vor: „Wir wollen Brot, aber Rosen wollen wir auch!“

Die Linke Opposition, die gegen die Bürokratisierung der Sowjetunion opponierte, widersetzte sich zu Recht den Bestrebungen, mittels der Ausrichtung auf eine „Proletarische Kultur“ und später auf einen „Sozialistischen Realismus“ künstlerisches Engagement und Experimentierfreude in die Schranken zu weisen. Trotzki warnte davor, „Konzentrationslager für das gestaltete Wort“ zu schaffen.

Die politische Konterrevolution unter Stalin hatte zur Folge, dass bürgerliche Denk- und Verhaltensweisen, ob das Rollenbild der Frau, die Haltung zur Familie oder zur Kunst eine Renaissance erfuhren. In der Folge unternahm die Linke Opposition Anstrengungen, den Kontakt zu Künstler*innen aufzunehmen beziehungsweise einige, wie Frida Kahlo und Diego Rivera, dem Einfluss des Stalinismus zu entziehen. Gemeinsam mit dem surrealistischen Schriftsteller André Breton (aus dessen Feder der Roman „Nadja“ stammt) entwarf Leo Trotzki 1938 das „Manifest für eine unabhängige, revolutionäre Kunst“.

Während die Übergänge von einer Gesellschaftsordnung zu einer anderen in der Vergangenheit damit einhergingen, an der Spitze eine Minderheit durch eine andere zu ersetzen, zeichnet sich die sozialistische Revolution dadurch aus, zum ersten Mal der Bevölkerungsmehrheit zur Macht zu verhelfen. Im Feudalismus gelang es der aufstrebenden Bourgeoisie, die kapitalistische Produktion noch vor dem Sturz der Feudalherrschaft durchzusetzen. Auch eine bürgerliche Kultur gelangte bereits am Ende des Mittelalters zu ihrer Blüte. Der bürgerlichen Revolution kam vor allem die Aufgabe zu, die Wirtschafts- mit den veränderten Herrschaftsverhältnissen in Einklang zu bringen. Demgegenüber ist der Gedanke, innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft eine proletarische Kultur zu schaffen, ziemlich abwegig. Zumal sich die sozialistische Bewegung auf die Fahnen geschrieben hat, die Weichen für eine klassenlose Gesellschaft zu stellen – und sich nicht, wie Stalin, in einem nichtkapitalistischen Staat einzurichten. (Dass der Kreml 1943 die Dritte Internationale auflöste, ist nur die logische Folge seiner Abkehr vom demokratischen Sozialismus gewesen.)

Überhaupt: Macht man sein Interesse an einem Maler oder Musiker vorwiegend davon abhängig, wo dieser politisch steht? Luxemburg sagte hierzu: „Doch beim wahren Künstler ist das soziale Rezept, das er empfiehlt, Nebensache: die Quelle seiner Kunst, ihr belebender Geist nicht das Ziel, das er sich bewusst steckt, ist das Ausschlaggebende.“ Karl Marx hatte gute Gründe, Honoré de Balzac zu lesen, obwohl dieser ein Anhänger der Monarchie war. Marx meinte, nirgendwo sonst so eindringlich vom französischen Leben erfahren zu haben wie in der „Menschlichen Komödie“.

Kunst ist keine Geschmackssache. Es ist ganz einfach, Kunst kann man nur „nach den Regeln der Kunst bewerten“, wie Trotzki meinte. Natürlich wird ein Porträt von Henri Matisse oder eine Fotografie von Tina Modotti nicht bei jedem das Gleiche auslösen. Jede Rezeption hängt auch von eigenen Erfahrungen, Erlebnissen, Einstellungen ab.

In ihrem Stück „Die Kontrakte des Kaufmanns“ lässt Elfriede Jelinek einen der Protagonisten sagen: „Wir haben Ihnen etwas versprochen, das wir gar nicht versprechen konnten. Entschuldigung, wir haben uns versprochen!“ Und sie ist wahrlich nicht die Einzige, die „die jüngsten Krämpfe des Kapitalismus“ für dessen „letzte Zuckungen“ hält, wie die FAZ kommentierte. Dass in der Kunst bislang weniger als in früheren Krisenzeiten gesellschaftlichen Umbrüchen nachgespürt wird, hängt sicher auch mit den Enttäuschungen nach dem Ende des Ostblocks und der Verbürgerlichung der Sozialdemokratie zusammen.

Es spricht für sich, dass Marx seinen ersten politischen Aufsatz im Alter von 23 Jahren der Zensur widmete: „Ihr bewundert die entzückende Mannigfaltigkeit, den unerschöpflichen Reichtum der Natur. Ihr verlangt nicht, dass die Rose duften soll wie das Veilchen, aber das Allerreichste, der Geist, soll nur auf eine Art existieren dürfen?“ Und Zensur funktioniert auch heute. Hat man Orson Welles seinerzeit jeglichen „Director‘s Cut“ untersagt, ist sein Debüt „Citizen Kane“ gegenwärtig über keinen Streamingdienst zu haben.

Prognosen sind schwierig, zumal sie die Zukunft betreffen. Aber eine These darf gewagt sein: In einer Gesellschaft frei von Konkurrenzdenken werden es nicht länger EMI, Sony, Universal Music Group und Warner Music Group sein, die über achtzig Prozent des Musikmarktes unter sich ausmachen. In der indigenen Bevölkerung Amerikas nahmen früher alle Menschen, vom Kind bis zum Greis, am Tanz teil; die Musik ging daraus hervor. Wer weiß, vielleicht werden auch in einer demokratischen, sozialistischen Welt sämtliche Menschen in der einen oder anderen Form tanzen und musizieren. Und dichten, und malen ...

Selbst in Russland nach der Oktoberrevolution entstanden – trotz Krieg und Bürgerkrieg – beinahe über Nacht dreitausend neue Theater, die eine Viertelmillion Menschen einbezogen.

Es gab das Theater von Wsewolod Meyerhold, das auf Vorhang, Bühne und damit auf die Trennung von Schauspieler*innen und Zuschauerschaft verzichtete. Mehr noch. In den Betrieben wurden Stücke inszeniert, an der Front wurden Stücke aufgeführt. Man erfand „Massenfeste“, bei denen ganze Städte in Bühnen umgewandelt wurden. Man schuf „Kindertheater“. Und „Gerichtsspiele“, wo Nachbarschaften auf spielerische Weise Beschlüsse der Sowjets nachstellten.

Man stelle sich nur einmal vor: Jedes Kind könnte den eigenen Neigungen und Talenten nachgehen. Jedes Kind dürfte ein Musikinstrument erlernen, singen, tanzen, spielen, lesen, erhielte Einblick in die Arbeitswelt. Die Trennung in Schulzeit, Berufsleben, Ruhestand wäre aufgehoben, die Trennung von Hand- und Kopfarbeit passé. Jeder bräuchte nur zehn oder zwanzig Wochenstunden zu arbeiten, hätte Zeit und Muße, zu forschen, zu studieren, kulturellen Dingen nachzugehen. Überall gäbe es Büchereien, Ateliers, Proberäume. Kein Mensch würde mehr stundenlang in einen kleinen rechteckigen Kasten gucken. Stattdessen gäbe es in jeder Nachbarschaft Leinwände, auf denen Nachrichten und Filme gezeigt würden. Neue Wohnmodelle, mit mehreren Generationen unter einem Dach, Bibliotheken, Medienzimmern Partyräume, kollektive Gartenbewirtschaftung. Kirchen als Tanzhalle und Konzertsaal …

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Die Revolution auf der Leinwand

Auf den 55. Berliner Filmfestspielen war Sergei Eisensteins „Panzerkreuzer Potemkin“ zum ersten Mal seit seiner Weltpremiere 1925 in der weitgehend wiederhergestellten Originalversion zu sehen. Mit der Orchestermusik unterlegt, die von Edmund Meisel in Absprache mit Eisenstein für die deutsche Premiere 1926 geschrieben wurde. Ein Jubiläum im Jubiläum: Gedreht vor achtzig Jahren – anlässlich des zwanzigsten Jahrestags der Russischen Revolution von 1905 – die sich 2005 zum hundertsten Mal jährte.

Nach der Uraufführung in Moskau erwarb der linke Verleih „Prometheus“ die Rechte für Deutschland. Die Berliner Premiere 1926 war ein sensationeller Erfolg. Allerdings kam der Film zensiert in die deutschen Kinos. Weimarer Matrosen sollten nicht auf falsche Ideen kommen.
Später fielen weitere Passagen des „Panzerkreuzers“ Stalins Zensur zum Opfer.

Trotzdem besaß das Werk eine Wucht, die Billy Wilder zum Beispiel veranlasste, ihn 1952, Sight & Sound gegenüber, für den besten Film überhaupt zu halten. Ein Freund Eisensteins schilderte Albert Einsteins Reaktion auf den Film, als er den „Panzerkreuzer“ 1930 im Kino sah: „Er stimmte zu, ereiferte sich, füllte den Vorführsaal mit lautem Gebrüll – schade, dass Sie nicht da waren.“

Der Film ist in fünf Akte geteilt. Die Laufzeit entspricht jeweils der Länge einer Filmrolle:
1. Männer und Maden: Auf dem Panzerkreuzer, der vor Odessa liegt, verweigert die Mannschaft von Maden übersätes Fleisch. Die Matrosen fragen: „Ganz Russland erhebt sich. Sollen wir die Letzten sein?“
2. Drama im friedlichen Hafen: Ein Exekutionskommando soll alle erschießen, die sich weiterhin weigern, die Suppe zu essen. Im letzten Moment wird der Erschießungsbefehl boykottiert. Die Meuterei beginnt.
3. Der Appell eines Toten: Wakulintschuk, der als erster rebellierte, wird im Hafen aufgebahrt: „Wegen eines Löffels Suppe.“ Er wird Ziel einer nicht enden wollenden Prozession.
4. Solidarisierung und Massaker: Kosaken räumen die Hafentreppe, Stufe für Stufe, von oben nach unten. Soldaten schießen in die Menge – bis ein Kanonenschuss von der Potemkin dem Blutvergießen ein Ende setzt.
5. Begegnung mit der Admiralsflotte: Alles wird für eine weitere Schlacht vorbereitet. Doch die Mannschaften der anderen Schiffe weigern sich, gegen den Panzerkreuzer vorzugehen.
Ursprünglich wollte Eisenstein einen sechsteiligen Filmzyklus mit dem Titel „Das Jahr 1905“ drehen. Die „Panzerkreuzer“-Episode sollte eigentlich nur 44 von 820 Einstellungen umfassen. Während der Dreharbeiten entschied sich Eisenstein indes, die Revolution exemplarisch auf ein Ereignis zu konzentrieren.
Die Meuterei im Sommer 1905 in Odessa markierte ein Schlüsselmoment: Zum einen blieb die Rebellion der Matrosen die Ausnahme, der Staatsapparat wurde nicht vollständig paralysiert, die Erhebung der ArbeiterInnen und Bauern führte nicht zur uneingeschränkten Solidarisierung. Zum anderen drückte der „Panzerkreuzer“ “die Hoffnung” aus, war die Generalprobe für 1917.
Der Film zeigt viel: Die Macht der Revolution, die Begeisterung, die sie bei großen Teilen des Kleinbürgertums auslöste, die aktive Rolle der Frauen im Aufstand, den Versuch der Kirche, die alte Ordnung zu stützen.
Die Meuterei auf der Potemkin vollzog sich vor der Bildung von Räten – der „Erfindung“ der Revolution von 1905, mit der sich die arbeitenden Menschen eigene Organe für Gegenwehr, Machteroberung und die Organisierung einer neuen Gesellschaft schufen.

Eisenstein revolutionierte den Filmschnitt: „Berühmt ist das Beispiel von den drei steinernen Löwen: einer schläft, einer liegt wach, einer sitzt aufrecht; schnell hintereinander montiert, werden sie zu einem sich aufrichtenden Löwen: der Stein schreit auf“, so Enno Patalas, der sich für die Restauration des „Panzerkreuzers“ verantwortlich zeichnete. Rhythmisches wird gegen Chaotisches geschnitten, Großaufnahme gegen Totale: Erst die aufgerissenen Augen einer Frau beim Aufmarsch der Kosaken, dann der Kinderwagen die Hafentreppe runterrollend, schließlich die Mutter, ihr getötetes Kind den Soldaten entgegentragend. Sie wendet sich seitwärts, wodurch sie Kamera und Zuschauer gleichermaßen anspricht: Klage, Anklage, Appell. Im Film „Streik“ von 1924 arbeitete Eisenstein mit der „Montage der Attraktionen“: ein Kapitalist, der eine Zitrone auspresst, gegen die gewaltsame Räumung einer Streikversammlung geschnitten.

Die restaurierte Fassung beginnt, wie vor achtzig Jahren, mit einem Zitat von Trotzki, das unter Stalin durch Lenin-Sätze ersetzt wurde: „Der Geist der Revolution schwebte über dem russischen Lande. Irgendein gewaltiger und geheimnisvoller Prozess vollzog sich in zahllosen Herzen: die Individualität, die eben erst sich selbst erkannt hatte, ging in der Masse auf und die Masse in dem großen Elan.“

"Ich schreibe, um zu wissen, was ich denke." Susan Sontag

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